LG Münster: Urteil zur Löschung von Insolvenzdaten nach DSGVO

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Immer mehr Verbraucher und Unternehmen geraten in Konflikt mit Wirtschaftsauskunfteien wie SCHUFA oder Creditreform, weil Insolvenzdaten auch nach Abschluss des Insolvenzverfahrens weiterhin gespeichert bleiben.
Mit dem Urteil des LG Münster vom 04.07.2023 wurde nun eine klare rechtliche Grenze gezogen: Die Speicherung von Insolvenzdaten ist spätestens sechs Monate nach der Aufhebung des Verfahrens unzulässig.

Dieses wegweisende Urteil stärkt die Datenschutzrechte nach Art. 17 DSGVO – dem sogenannten „Recht auf Vergessenwerden“ – erheblich. Für Unternehmen und Verbraucher bedeutet dies gleichermaßen: Sie müssen ihre Rechte und Pflichten im Umgang mit Insolvenzdaten genau kennen, um Löschansprüche rechtssicher durchzusetzen und rechtliche Risiken zu vermeiden.

 

Urteil des LG Münster: Klare Frist für die Löschung von Insolvenzdaten

Am 04.07.2023 (Az.: 16 O 238/22) hat das Landgericht Münster (LG Münster) eine wegweisende Entscheidung im Bereich Datenschutzrecht und Insolvenzbekanntmachungen gefällt.
Im Zentrum des Verfahrens stand die Frage, ob Wirtschaftsauskunfteien wie SCHUFA oder Creditreform Insolvenzdaten länger speichern dürfen, als es das Gesetz erlaubt.

Das Gericht stellte unmissverständlich klar:
Spätestens sechs Monate nach der Aufhebung eines Insolvenzverfahrens müssen alle personenbezogenen Daten gelöscht werden.
Damit folgt das LG Münster nicht nur der Rechtsprechung des EuGH, sondern setzt auch neue Maßstäbe im Umgang mit Insolvenzdaten. Ebenso wird der Datenschutz nach Art. 17 DSGVO nachhaltig gestärkt.

 

Negativeinträge bei Wirtschaftsauskunfteien: LG Münster stärkt Betroffene

Der zugrunde liegende Fall macht deutlich, wie gravierend die Folgen fortbestehender Negativeinträge sein können:
Der Kläger war nach Aufhebung seines Insolvenzverfahrens in der Datenbank einer großen Wirtschaftsauskunftei weiterhin als insolvent geführt.

Dadurch bestand das Risiko, dass er im Wirtschaftsverkehr erheblich benachteiligt wird.
Solche Negativmerkmale führen in der Praxis häufig dazu, dass:

  • Kreditanträge automatisch abgelehnt werden,
  • Mobilfunk- und Leasingverträge verweigert werden,
  • Wohnungsbewerbungen und Gewerbemietverträge erschwert oder unmöglich werden,
  • und Unternehmen von Geschäftsabschlüssen oder B2B-Kooperationen Abstand nehmen.

Obwohl der Kläger wirtschaftlich stabil war und über ein regelmäßiges Einkommen verfügte, drohten ihm aufgrund der fortbestehenden Einträge erhebliche Einschränkungen seiner wirtschaftlichen Handlungsfähigkeit.

Besonders bemerkenswert: Das LG Münster verlangte keinen konkreten Nachweis, dass der Kläger tatsächlich Kredite, Verträge oder Kreditkarten beantragt und abgelehnt bekommen hatte.
Nach Auffassung des Gerichts reicht bereits die abstrakte Gefahr einer wirtschaftlichen Benachteiligung aus, um eine Verletzung der Datenschutzrechte gemäß Art. 17 DSGVO festzustellen.

 

Rechtsgrundlagen: Art. 17 DSGVO und Insolvenzbekanntmachungsverordnung (InsBekV)

Das Urteil des LG Münster stellt die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) in den Mittelpunkt und interpretiert Art. 17 DSGVO – das „Recht auf Vergessenwerden“ – besonders streng.
Betroffene Personen haben gem. Art. 17 Abs. 1 lit. d einen klaren Anspruch auf Löschung personenbezogener Daten, wenn diese unrechtmäßig verarbeitet worden sind. Für Insolvenzdaten bedeutet das konkret:
Spätestens sechs Monate nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens müssen Wirtschaftsauskunfteien sämtliche Negativeinträge löschen.

Darüber hinaus verweist das Gericht ausdrücklich auf § 3 der Insolvenzbekanntmachungsverordnung (InsBekV). Diese Vorschrift regelt, dass amtliche Veröffentlichungen im Insolvenzportal spätestens sechs Monate nach Aufhebung oder Einstellung des Insolvenzverfahrens automatisch gelöscht werden. Das LG Münster leitet daraus ab, dass auch private Wirtschaftsauskunfteien Insolvenzdaten nicht länger speichern dürfen. Eine darüber hinausgehende Speicherung durch private Auskunfteien wie SCHUFA oder Creditreform verstößt gegen den Grundgedanken des Datenschutzes.

Entscheidend ist laut LG Münster das wirtschaftliche Interesse des Schuldners: Nach der erfolgreichen Aufhebung des Insolvenzverfahrens soll dieser uneingeschränkt am Wirtschaftsleben teilnehmen können.
Zwar erkennt das Gericht ein berechtigtes Informationsinteresse Dritter – etwa von Banken, Vermietern oder Geschäftspartnern – grundsätzlich an. Dieses Interesse tritt jedoch hinter den Grundrechten der Betroffenen zurück.
Besonders wichtig: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 1 und Art. 2 Grundgesetz genießt Vorrang, wenn eine fortgesetzte Speicherung zu erheblichen Nachteilen im Alltag führen könnte.

 

Auswirkungen für Wirtschaftsauskunfteien: SCHUFA, Creditreform & Co. unter Druck

Das Urteil des LG Münster hat massive Auswirkungen auf Wirtschaftsauskunfteien wie SCHUFA, Creditreform und ähnliche Anbieter.
Diese Unternehmen sammeln und speichern traditionell Daten aus öffentlichen Quellen, um die Bonität von Personen und Unternehmen zu bewerten. Bisher war es gängige Praxis, Insolvenzdaten bis zu drei Jahre nach Abschluss des Insolvenzverfahrens vorzuhalten.
Mit dem aktuellen Urteil wird diese Vorgehensweise jedoch drastisch eingeschränkt.

Für Verbraucher bedeutet das eine deutliche Stärkung ihrer Rechte.
Das Gericht stellte klar: Eine solche fortgesetzte Datenverarbeitung ist unzulässig und führt zu unverhältnismäßigen Nachteilen für die Betroffenen.

Darüber hinaus birgt das Urteil erhebliche Compliance-Risiken für Auskunfteien:

  • Unterlassungsklagen sind möglich, wenn Löschfristen nicht eingehalten werden.
  • Hohe Bußgelder nach Art. 83 DSGVO drohen bei Verstößen.
  • Betroffene können einen unmittelbaren Anspruch auf Löschung geltend machen, wenn Insolvenzdaten zu lange gespeichert

Im vorliegenden Fall musste die Auskunftei zwar keinen Schadensersatz leisten, jedoch wurden die Rechtsanwaltskosten des Klägers erstattet.
Insgesamt sorgt die Entscheidung dafür, dass Betroffene nach einer Insolvenz eine echte wirtschaftliche Neustartchance erhalten.
Wirtschaftsauskunfteien müssen ihre Datenverarbeitungsrichtlinien dringend überprüfen und anpassen, um rechtliche Konflikte und Bußgelder zu vermeiden.

 

EuGH & DSGVO: Europäische Leitlinien zur Speicherung von Insolvenzdaten

Die Entscheidung des LG Münster steht in direktem Zusammenhang mit der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).
In kürzlichen Urteilen stellte der EuGH klar:
Eine Speicherung von Insolvenzdaten über die gesetzlich vorgesehene Löschfrist hinaus verstößt gegen die DSGVO.

Noch nicht abschließend geklärt ist, ob private Wirtschaftsauskunfteien überhaupt sogenannte Paralleldatenbanken betreiben dürfen. Dies konnte, laut dem LG Münster, jedoch im vorliegenden Fall offenbleiben.
Eines jedoch steht fest: Insolvenzdaten dürfen nach Ablauf der gesetzlichen Speicherfrist nicht mehr verarbeitet oder gespeichert werden.

Das Besondere am Urteil des LG Münster:
Die Richter übertragen diese Grundsätze auch auf Fälle, in denen das Insolvenzverfahren ohne Restschuldbefreiung beendet wurde.
Das bedeutet: Das „Recht auf Vergessenwerden“ nach Art. 17 DSGVO gilt unabhängig vom Verfahrensausgang.
Schuldner sollen also auch dann die Möglichkeit haben, sich wirtschaftlich zu rehabilitieren, wenn noch offene Forderungen bestehen.

Darüber hinaus stärkt das Urteil die Position der Betroffenen gegenüber Wirtschaftsauskunfteien erheblich:

  • Banken, Vermieter und Geschäftspartner können zwar weiterhin das öffentliche Insolvenzportal nutzen,
  • aber: Nach Ablauf der gesetzlichen Löschfrist haben Datenschutzrechte Vorrang – eine fortgesetzte Speicherung in privaten Datenbanken ist in der Regel unzulässig.

Damit markiert das Urteil des LG Münster einen Wendepunkt in der deutschen und europäischen Datenschutzpraxis.
Auskunfteien müssen ihre Speicherfristen und Datenverarbeitungsprozesse zwingend an die InsBekV und die Vorgaben des EuGH anpassen, um hohe Bußgelder und mögliche Schadensersatzforderungen zu vermeiden.

 

Praxistipps: So setzen Betroffene und Unternehmen ihre Rechte durch

Das Urteil des LG Münster bietet Schuldnern, Verbrauchern und auch Unternehmen wertvolle Ansatzpunkte, um ihre Datenschutzrechte effektiv durchzusetzen.
Wer nach der Aufhebung eines Insolvenzverfahrens weiterhin in den Datenbanken von Wirtschaftsauskunfteien wie SCHUFA oder Creditreform geführt wird, kann sich auf Art. 17 DSGVO berufen und einen Löschungsanspruch geltend machen.
Besonders wichtig: Dieser Anspruch gilt unabhängig davon, ob das Verfahren mit oder ohne Restschuldbefreiung beendet wurde.

 

Schritt-für-Schritt-Anleitung für Betroffene

 

1. Schriftliche Aufforderung zur Löschung stellen

→ Negativeinträge bei der Auskunftei anfechten und Löschung verlangen.

 

2. Auf das LG-Münster-Urteil und § 3 InsBekV verweisen

→ Damit wird die rechtliche Grundlage des Anspruchs unterstrichen.

 

3. Bei Ablehnung oder Nichtreaktion die Datenschutzaufsichtsbehörde einschalten

→ Diese kann die Einhaltung der DSGVO durchsetzen.

 

4. Gerichtliche Durchsetzung prüfen

→ Wenn alle außergerichtlichen Maßnahmen scheitern, bleibt der Klageweg.

 

Handlungsbedarf für Unternehmen

Auch Unternehmen müssen handeln: Wer bei Bonitätsprüfungen weiterhin auf Daten aus privaten Paralleldatenbanken zugreift, läuft Gefahr, rechtswidrig gespeicherte Daten zu verwenden und setzt sich damit erheblichen Haftungsrisiken aus.

 

Paradigmenwechsel im Datenschutz

Das Urteil markiert einen echten Meilenstein:

  • Verbraucher erhalten endlich mehr Kontrolle über ihre personenbezogenen Daten.
  • Wirtschaftsauskunfteien müssen ihre Datenverarbeitungsprozesse transparenter und DSGVO-konform gestalten.
  • Der Beschluss ist damit nicht nur ein Sieg für den Datenschutz, sondern auch ein wichtiger Schritt zu mehr Fairness im Wirtschaftsverkehr und zu einem besseren Verbraucherschutz.

❓FAQ zum LG-Münster-Urteil und Insolvenzdaten

Das Landgericht Münster (Az. 16 O 238/22) hat entschieden, dass Wirtschaftsauskunfteien wie SCHUFA oder Creditreform Insolvenzdaten spätestens sechs Monate nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens löschen müssen. Eine längere Speicherung verstößt gegen Art. 17 DSGVO.

Spätestens sechs Monate nach Aufhebung oder Einstellung des Insolvenzverfahrens müssen Negativeinträge entfernt werden. Diese Frist orientiert sich an § 3 Insolvenzbekanntmachungsverordnung (InsBekV), den auch das LG Münster heranzieht.

Nein, es gilt für beide.
Auch Unternehmen haben nach Art. 17 DSGVO ein Recht auf Löschung, wenn ihre Insolvenzdaten ohne Rechtsgrundlage gespeichert bleiben. Das Urteil stellt klar, dass die wirtschaftliche Rehabilitation auch für Unternehmen geschützt wird.

Ja.
Das LG Münster betont ausdrücklich, dass das Recht auf Vergessenwerden unabhängig vom Ausgang des Insolvenzverfahrens gilt.
Selbst wenn noch offene Forderungen bestehen, dürfen Insolvenzdaten nach Ablauf der Frist nicht weiter gespeichert werden. Damit geht es über die bisherige Rechtsprechung des EuGH hinaus.

Der EuGH hat am 07.12.2023 (Az. C-26/22 und C-64/22) entschieden, dass die Speicherung von Insolvenzdaten durch private Wirtschaftsauskunfteien über die gesetzlich vorgesehene Veröffentlichungsfrist hinaus unzulässig ist.
Das LG Münster geht noch einen Schritt weiter, indem es klarstellt, dass der Löschungsanspruch nach Art. 17 DSGVO unabhängig von einer Restschuldbefreiung besteht.

Bei Missachtung des Urteils drohen:

  • Hohe DSGVO-Bußgelder (Art. 83 DSGVO)
  • Unterlassungsklagen
  • Reputationsschäden
  • Rechtliche Haftung gegenüber Betroffenen

*Rechtlicher Hinweis

Dieser Beitrag dient ausschließlich der allgemeinen Information und stellt keine Rechtsberatung im Einzelfall dar. Die Inhalte wurden mit größter Sorgfalt und nach bestem Wissen erstellt. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität übernommen werden. 

Der Beitrag wurde am 15. September 2025 aktualisiert.

Änderungen der Rechtslage oder der Rechtsprechung, die nach diesem Datum erfolgt sind, sind nicht berücksichtigt. Bitte wenden Sie sich für eine individuelle rechtliche Beratung an einen Rechtsanwalt.

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