Kollisionen zwischen Radfahrern und Fußgängern sind kein seltenes Phänomen. Sie geschehen häufig an Kreuzungen, in Parkanlagen oder auf kombinierten Verkehrsflächen, auf denen sich Rad- und Fußverkehr überschneiden. Dabei stellt sich immer wieder dieselbe Frage:
Wer hat Vorrang auf dem Radweg? Radfahrer oder Fußgänger?
In der Praxis sorgt das nicht selten für Streit, insbesondere wenn Unfälle zu Personenschäden führen. Das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg hat mit einer Grundsatzentscheidung vom 12. März 2024 (Az.: 12 W 7/24) diese Frage nun klar beantwortet. Das Gericht stärkt die Position der Radfahrenden und betont, dass Fußgänger beim Betreten eines Radwegs besondere Sorgfalt walten lassen müssen.
Radweg-Unfall: Radfahrer stürzt wegen querendem Fußgänger
Im entschiedenen Fall fuhr der Kläger auf einem deutlich gekennzeichneten, baulich vom Gehweg getrennten Radweg. Der Beklagte, der sich auf einem angrenzenden Gehweg befand, trat plötzlich auf den Radweg, ohne auf den Radverkehr zu achten. Es kam zum Zusammenstoß, bei dem der Radfahrer schwer stürzte und erhebliche Verletzungen erlitt. Das Beispiel zeigt, wie schnell es zu einem Unfall zwischen Radfahrer und Fußgänger auf dem Radweg kommen kann – und wie wichtig klare Vorrangregeln sind. Der Kläger machte daraufhin materiellen Schadensersatz für die beschädigte Ausrüstung und das Fahrrad sowie immateriellen Schadensersatz in Form von Schmerzensgeld geltend, da er unter anderem eine Gelenkspalterweiterung erlitten hat. Zudem wollte er gerichtlich feststellen lassen, dass der Beklagte auch für zukünftige, noch nicht absehbare Unfallfolgen haftet. Der Beklagte beantragte Prozesskostenhilfe, die jedoch sowohl vom Landgericht als auch vom OLG Brandenburg abgelehnt wurde – mit der Begründung, dass seine Verteidigung keine Erfolgsaussichten habe.
Rechtliche Grundlage: § 25 StVO und § 823 BGB bei Radweg-Unfällen
Die juristische Bewertung stützte sich vor allem auf § 25 Abs. 3 Satz 1 StVO, der festlegt, dass Fußgänger beim Überqueren eines Radwegs auf den Radverkehr Rücksicht nehmen müssen. Das bedeutet konkret: Ein Fußgänger darf den Radweg nur dann betreten, wenn er sicher ausschließen kann, dass ein Radfahrer behindert oder gefährdet wird. Ergänzend kam § 823 BGB zur Anwendung, der die Schadensersatzpflicht bei schuldhaft verursachten Schäden regelt. Der Beklagte hatte durch sein unachtsames Verhalten schuldhaft gehandelt. Ein Mitverschulden des Klägers nach § 254 BGB konnte das Gericht nicht feststellen. Der Kläger sei weder zu schnell gefahren noch habe er Anzeichen missachtet, die ein Queren des Fußgängers vermuten ließen.
OLG Brandenburg: Fußgänger haftet bei Radweg-Unfall vollständig
Das OLG Brandenburg stellte klar, dass hier eine Alleinhaftung des Fußgängers gegeben ist. Mehrere Punkte waren für diese Entscheidung ausschlaggebend:
- Klarer Verkehrsverstoß auf dem Radweg
Der Beklagte trat unvermittelt auf den Radweg, obwohl der herannahende Radfahrer für ihn erkennbar gewesen wäre. Damit verstieß er eindeutig gegen § 25 Abs. 3 StVO. - Keine Pflicht des Radfahrers zur besonderen Vorsicht ohne Anzeichen
Der Radfahrer befand sich in einem übersichtlichen Streckenabschnitt bei guten Sichtverhältnissen. Es gab keine Anzeichen, dass ein Fußgänger den Radweg betreten würde. - Keine Verpflichtung zum Klingeln oder Rufen ohne Gefahrensituation
Da der Fußgänger zuvor auf dem Gehweg lief und keine Anzeichen für ein Überqueren erkennbar waren, musste der Radfahrer kein akustisches Warnsignal geben.
Diese Argumentation unterstreicht den Vertrauensgrundsatz im Verkehrsrecht: Wer auf einer bevorrechtigten Verkehrsfläche fährt, darf darauf vertrauen, dass andere Verkehrsteilnehmer die geltenden Regeln beachten.
Bedeutung für die Praxis: Was Fußgänger und Radfahrende wissen müssen
Die Entscheidung verdeutlicht, dass Radfahrer auf gekennzeichneten Radwegen Vorrang haben und sich auf die Einhaltung der Vorschriften durch Fußgänger verlassen dürfen. Für Fußgänger bedeutet dies, dass sie beim Überqueren eines Radwegs denselben Sorgfaltsmaßstab anwenden müssen wie beim Überqueren einer Fahrbahn für Kraftfahrzeuge. Das Urteil ist daher auch für alle relevant, die wissen wollen: „Darf ein Fußgänger den Radweg benutzen?“ – nur, wenn keine Gefährdung des Radverkehrs besteht. Für Radfahrer ist das Urteil eine Bestätigung, dass sie nicht verpflichtet sind, jederzeit mit unvermitteltem Betreten des Radwegs durch Fußgänger zu rechnen – solange keine besonderen Umstände wie spielende Kinder, ältere Menschen oder unübersichtliche Verkehrslagen vorliegen. Hier kann die Beurteilung schnell anders ausfallen.
Häufige Irrtümer: Darf ein Fußgänger den Radweg benutzen?
Viele Verkehrsteilnehmer gehen irrtümlich davon aus, dass Fußgänger überall Vorrang haben. Das stimmt jedoch nicht: Auf Radwegen gilt der Vorrang der Radfahrenden. Ebenso herrscht oft die Meinung, dass Radfahrer immer bremsbereit sein müssten. Laut OLG Brandenburg gilt dies auf einem Radweg ohne Anzeichen für Gefahr nicht. Auch das weit verbreitete „Klingelgebot“ existiert so nicht – Radfahrende müssen nur warnen, wenn eine konkrete Gefahrensituation erkennbar ist. Das Urteil macht deutlich, dass das Recht nicht auf abstrakte Gefahren abstellt, sondern auf die objektiv erkennbare Situation.
Relevanz steigt: Zunehmende Unfälle mit Fahrrädern und E-Bikes
Die Bedeutung dieser Entscheidung wächst vor dem Hintergrund steigender Unfallzahlen. Im Jahr 2023 wurden in Deutschland etwa 87.180 Fahrradunfälle mit Personenschaden polizeilich erfasst, darunter 431 Unfälle mit Todesfolge, 13.779 mit Schwer- und 72.970 mit Leichtverletzten – das entspricht 238 Unfällen pro Tag mit Beteiligung von Radfahrenden.
Pedelec- und E-Bike-Unfälle haben überproportional zugenommen: 2023 verzeichnete die Polizei rund 23.900 Pedelec-Unfälle mit Personenschaden – das sind etwa elfmal so viele wie 2014 (rund 2.200 Unfälle). Im Jahr 2024 gehörten Radfahrende zu jedem sechsten Verkehrstoten (insgesamt 441 Tote), davon waren 192 auf einem Pedelec unterwegs.
Das Risiko ist besonders bei E-Bike/Pedelec-Nutzung höher: Bei 1.000 Pedelec-Unfällen mit Personenschaden kommen im Schnitt 7,9 Todesfälle, bei nichtmotorisierten Fahrrädern nur 3,6 Todesfälle. Zusätzlich waren knapp zwei Drittel (ca. 63,5 %) der tödlich verunglückten Radfahrenden 2024 65 Jahre oder älter, bei Pedelec-Fahrenden lag dieser Anteil sogar bei 68,8 %.
Damit stellt sich immer häufiger die Frage: „Wer haftet bei einem Unfall zwischen Radfahrer und Fußgänger?“ – und hier liefert das OLG-Urteil eine klare Antwort. Viele dieser Unfälle ereignen sich auf Radwegen, oft weil Fußgänger unachtsam sind oder Verkehrsflächen nicht klar getrennt sind. Das Urteil des OLG Brandenburg setzt hier ein deutliches Signal für eine klarere Verantwortungsverteilung.
Wichtige Hinweise zur Schadensersatz- und Feststellungsklage
Ein weiterer Aspekt der Entscheidung betrifft das Prozessrecht: Das OLG stellte klar, dass ein Kläger, dessen Schaden teilweise schon eingetreten ist, aber noch weitere Folgeschäden zu erwarten sind, nicht verpflichtet ist, seine Klage in eine Leistungs- und eine Feststellungsklage aufzuteilen. Es genügt, eine Feststellungsklage zu erheben, um die Ersatzpflicht für alle aktuellen und zukünftigen Schäden festzustellen. Dies verhindert, dass mögliche Spätfolgen durch Verjährung verloren gehen. Gerade bei Personenschäden mit unklarer Prognose ist dies ein wichtiges Instrument, um langfristige Ansprüche zu sichern.
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Fazit: Radfahrer haben Vorrang – klare Verantwortung beim Fußgänger
Das OLG Brandenburg hat unmissverständlich klargestellt: Wer als Fußgänger einen Radweg betritt, trägt die volle Verantwortung, den Radverkehr nicht zu behindern oder zu gefährden. Radfahrer haben auf einem gesondert gekennzeichneten Radweg Vorrang und müssen ihre Geschwindigkeit nicht auf hypothetische Gefahren anpassen. Ein Autofahrer passt seine Geschwindigkeit schließlich auch nicht für den Fall an, dass ihm eine Person vor das Auto läuft. Das Urteil stärkt die Rechtssicherheit und sorgt für mehr Klarheit im Miteinander von Radfahrern und Fußgängern. Gleichzeitig erinnert es daran, dass gegenseitige Rücksichtnahme – auch über die rechtlichen Mindestpflichten hinaus – der Schlüssel zu mehr Sicherheit im Straßenverkehr ist.
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❓ FAQ – Häufige Fragen zu „Wer hat Vorrang: Radfahrer oder Fußgänger?“
Radfahrer haben auf einem eindeutig gekennzeichneten Radweg Vorrang.
Fußgänger dürfen den Radweg nur dann betreten oder überqueren, wenn sie sicher ausschließen können, dass ein Radfahrer behindert oder gefährdet wird. Grundlage ist § 25 Abs. 3 StVO.
Nein. Ein Radweg ist ausschließlich für den Radverkehr bestimmt.
Fußgänger dürfen ihn lediglich queren – und nur, wenn dies gefahrlos möglich ist. Ein dauerhaftes Gehen oder Laufen auf dem Radweg ist nicht erlaubt.
Nein. Radfahrer müssen nicht jederzeit bremsbereit sein, wenn keine Anzeichen erkennbar sind, dass ein Fußgänger den Radweg betreten könnte.
Bei guter Sicht und übersichtlicher Lage gilt der Vertrauensgrundsatz.
Eine Klingelpflicht besteht nur, wenn eine konkrete Gefahrensituation erkennbar ist – zum Beispiel, wenn ein Fußgänger Anzeichen zeigt, den Radweg zu überqueren oder darauf zu treten.
Ohne erkennbare Gefahr besteht keine Warnpflicht.
Tritt ein Fußgänger unvermittelt auf den Radweg und löst dadurch einen Unfall aus, haftet er in der Regel vollständig.
Nur wenn beide Seiten Verkehrsregeln verletzt haben oder die Lage unübersichtlich war, kann eine Mitverschuldensquote entstehen.
Ja. Die Vorrang- und Sorgfaltspflichten gelten unabhängig vom Fahrradtyp.
Bei E-Bikes und Pedelecs ist jedoch besondere Vorsicht geboten, da ihre höheren Geschwindigkeiten das Unfallrisiko erhöhen.
Ja. Fußgänger müssen sich vor dem Betreten des Radwegs vergewissern, dass kein Radfahrer naht, der gefährdet oder behindert werden könnte.
Die Pflicht entspricht der Sorgfaltspflicht beim Überqueren einer Fahrbahn.
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