Das Thema Vielfachabmahner beschäftigt seit Jahren Online-Händler, Juristen und Verbände gleichermaĂźen. In einem wegweisenden BGH-Urteil zu Vielfachabmahnern am 7. März 2024 wurden nun grundsätzliche Leitlinien aufgestellt, wann Abmahnungen als rechtsmissbräuchlich gelten und wie weit die Tätigkeit solcher Abmahnvereine gehen darf.Â
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Vielfachabmahner – Bedeutung und rechtliche Einordnung
Vielfachabmahner sind meist als Vereine organisierte Wettbewerbsverbände, die in großem Umfang Abmahnungen wegen angeblicher Wettbewerbsverstöße versenden. In Extremfällen werden tausende Schreiben pro Jahr verschickt. Oft steht dabei der Verdacht im Raum, dass es weniger um fairen Wettbewerb geht – und mehr um das lukrative Geschäft mit Abmahnkosten und Vertragsstrafen.
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BGH-Fall IDO-Verband: Ausgangspunkt fĂĽr das Urteil zu Vielfachabmahnern
Im konkreten Fall hatte der IDO-Verband einen Händler wegen wettbewerbsrechtlicher Verstöße auf Amazon abgemahnt. Der Händler unterzeichnete die beigefügte strafbewehrte Unterlassungserklärung, wehrte sich jedoch später gegen die Geltendmachung einer Vertragsstrafe in Höhe von 5.000 Euro.
Die Vorinstanzen – LG Essen und OLG Hamm – hielten die ursprüngliche Abmahnung für rechtsmissbräuchlich. Begründung: Der Verband habe eine Vielzahl von Abmahnungen ausgesprochen, diese aber in vielen Fällen nicht gerichtlich weiterverfolgt, obwohl keine Unterlassungserklärungen abgegeben worden seien – ein klassischer Vielfachabmahner also.
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BGH-Urteil 2024 zu Vielfachabmahnern: Wann ist eine Abmahnung rechtsmissbräuchlich?
Der BGH bekräftigt nun, dass ein Rechtsmissbrauch gemäß § 242 BGB oder § 8c UWG angenommen werden kann, wenn ein Gläubiger sich bei der Verfolgung von Unterlassungsansprüchen überwiegend von sachfremden Motiven leiten lässt.
„Von einem rechtsmissbräuchlichen Abmahnverhalten ist auszugehen, wenn sich der Gläubiger bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs überwiegend von sachfremden Gesichtspunkten leiten lässt.“
Allerdings stellt das BGH-Urteil klar: Die schiere Zahl von Abmahnungen bei sogenannten Vielfachabmahnern allein genügt nicht, um Missbrauch zu unterstellen. Es müssen weitere Umstände hinzutreten.
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Welche Indizien sprechen fĂĽr Rechtsmissbrauch bei Vielfachabmahnern?
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1. Keine gerichtliche Verfolgung trotz fehlender Unterwerfung
Ein wichtiges Kriterium für Missbrauch ist laut BGH, wenn bei fehlender Reaktion der Abgemahnten keine gerichtlichen Schritte erfolgen. Dies allein reicht aber noch nicht aus – es braucht weitere Hinweise.
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2. Zweifelhafte Rechtslage ohne gerichtliche Klärung
Wenn ein Verband in vielen Fällen mit rechtlich unklarer Ausgangslage abmahnt, aber eine Klärung vor Gericht unterlässt, kann dies ein weiteres Missbrauchsindiz darstellen.
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3. Überdehnte Unterlassungserklärungen bei Vielfachabmahnern
Enthält eine Unterlassungserklärung auch Inhalte, die nicht Teil der konkreten Abmahnung waren, spricht das laut § 8c UWG Abs. 1 Nr. 5 für Missbrauch.
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4. Ungleichbehandlung von Mitgliedern und Nichtmitgliedern bei Vielfachabmahnern
Wer eigene Mitglieder verschont, während Nichtmitglieder systematisch abgemahnt werden, handelt ebenfalls verdächtig. Auch dies war im Fall des IDO-Verbands ein Streitpunkt.
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5. Druck durch VerknĂĽpfung von Unterlassung und Kostenerstattung bei Vielfachabmahnern
Ein weiterer problematischer Punkt: Wenn durch Gestaltung der Abmahnung der Eindruck entsteht, dass eine Zahlungspflicht nur durch Unterzeichnung der Erklärung abgewendet werden könne.
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BGH differenziert: Nicht jede fehlende Klage ist missbräuchlich
Das BGH-Urteil macht deutlich: Es gibt legitime Gründe, warum ein Verband nicht in jedem Fall klagt – etwa:
- Geschäftsaufgabe oder Insolvenz des Abgemahnten
- Unzustellbarkeit von Schreiben
- Änderungen an Webseiten nach anwaltlicher Beratung
- Tod des Inhabers oder Betreiberwechsels
- Sozial motivierte Entscheidungen
- Musterverfahren zur Klärung grundsätzlicher Fragen
Solche Faktoren mĂĽssen in der rechtlichen GesamtwĂĽrdigung bezĂĽglich Vielfachabmahnern berĂĽcksichtigt werden.
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Vertragsstrafe bei rechtsmissbräuchlicher Abmahnung – BGH verneint Durchsetzbarkeit
Im Kern ging es im Verfahren über Vielfachabmahner um die Frage: Kann eine Vertragsstrafe durchgesetzt werden, wenn die zugrunde liegende Abmahnung rechtsmissbräuchlich war?
Der BGH bejaht den Einwand des Rechtsmissbrauchs auch gegen die Vertragsstrafe selbst. Die Regeln aus § 242 BGB gelten entsprechend.
„Der Geltendmachung einer Vertragsstrafe aus einem missbräuchlich zustande gekommenen Unterlassungsvertrag kann der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenstehen.“
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Was bedeutet das BGH-Urteil für Online-Händler und Vielfachabmahner?
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Für Online-Händler:
- Wehrhafte Reaktion lohnt sich: Nicht jede Abmahnung muss hingenommen werden.
- Bei Verdacht auf rechtsmissbräuchliches Verhalten ist es ratsam, die Rechtslage prüfen zu lassen.
- Unterlassungserklärungen sollten nicht ungeprüft unterschrieben werden.
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FĂĽr Vielfachabmahner:
- Das Urteil ist ein Warnsignal fĂĽr Vielfachabmahner: Massenhafte, nicht weiterverfolgte Abmahnungen bergen rechtliche Risiken.
- Eine nachvollziehbare Dokumentation der Fälle und Motive ist essenziell.
- Vertragsstrafen aus missbräuchlichen Abmahnungen sind nicht mehr rechtssicher durchsetzbar.
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Praxishinweis: Indizien sammeln und abwägen bei Vielfachabmahnern
Letztlich stellt der BGH klar: Rechtsmissbrauch ist stets im Einzelfall anhand einer Gesamtabwägung aller Umstände festzustellen. Die Darlegungs- und Beweislast liegt beim Abgemahnten – aber der Verband muss bei entsprechendem Vorbringen substanzielle Gegenargumente liefern.
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Fazit: BGH-Urteil stärkt Online-Händler gegen Vielfachabmahner
Mit diesem Urteil stärkt der BGH die Position abgemahnter Unternehmer gegen fragwürdige Praktiken sogenannter Vielfachabmahner. Die Gerichte erhalten nun klarere Maßstäbe, wann ein Abmahnen nicht mehr dem fairen Wettbewerb, sondern nur noch dem Gelderwerb dient.
Das BGH-Urteil zu Vielfachabmahnern stärkt abgemahnte Unternehmer und erschwert missbräuchliche Abmahntätigkeit erheblich.
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❓FAQ zum BGH-Urteil über Vielfachabmahner
Vielfachabmahner sind in der Regel Wettbewerbsverbände oder Vereine, die in großem Umfang Abmahnungen wegen angeblicher Wettbewerbsverstöße verschicken. Häufig steht dabei der Vorwurf im Raum, dass nicht der faire Wettbewerb, sondern finanzielle Interessen im Vordergrund stehen.
Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass Abmahnungen rechtsmissbräuchlich sein können, wenn sie überwiegend sachfremden Zielen dienen – etwa der massenhaften Generierung von Vertragsstrafen oder Kosten. Eine hohe Zahl von Abmahnungen allein reicht jedoch nicht aus, um Missbrauch zu unterstellen.
Der BGH nennt mehrere Anhaltspunkte:
- keine gerichtliche Verfolgung trotz fehlender Unterlassung
- ungerechtfertigte Vertragsstrafenforderungen
- übermäßig weit gefasste Unterlassungserklärungen
- Ungleichbehandlung von Mitgliedern und Nichtmitgliedern
- VerknĂĽpfung von Unterlassung und Zahlungspflicht
Onlinehändler können sich besser gegen fragwürdige Abmahnungen wehren. Liegen Hinweise auf rechtsmissbräuchliches Verhalten vor, sollte eine anwaltliche Prüfung erfolgen – auch Vertragsstrafen können dann unwirksam sein.
Nein. Der BGH stellt klar, dass auch die Vertragsstrafe nicht durchsetzbar ist, wenn der zugrunde liegende Unterlassungsvertrag durch eine rechtsmissbräuchliche Abmahnung zustande kam (§ 242 BGB).
Wichtig sind insbesondere:
- § 8c UWG (Rechtsmissbrauch im Wettbewerbsrecht)
- § 242 BGB (Grundsatz von Treu und Glauben)
- ergänzend auch § 13 Abs. 5 UWG (Kein Kostenerstattungsanspruch bei Missbrauch)
Nein – es besteht keine Pflicht zur Unterzeichnung einer Unterlassungserklärung. Dennoch sollte jede Abmahnung ernst genommen und rechtlich geprüft werden, um spätere Nachteile zu vermeiden.
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