Mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) hat der europäische Gesetzgeber das Datenschutzrecht vereinheitlicht und die Rechte Einzelner erheblich gestärkt. Doch wie sieht es mit der kollektiven Durchsetzung aus? Art. 80 Abs. 2 DSGVO erĂśffnet den Mitgliedstaaten die MĂśglichkeit, Verbraucherschutzverbänden Klagebefugnisse einzuräumen, selbst wenn kein konkreter Auftrag einer betroffenen Person vorliegt. In Deutschland war lange umstritten, ob das Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) diese Option voll ausschĂśpft â insbesondere bei datenschutzrechtlichen Abmahnungen ohne individuellen Bezug.
Zwei Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus den Jahren 2022 und 2024 im Streit um das âFacebook App-Zentrumâ-Verfahren geben nun eindeutige Antworten und markieren einen Paradigmenwechsel. Sie stärken die Rolle der Verbraucherschutzverbände wie dem vzbv als zentrale Akteure in der kollektiven Datenschutzdurchsetzung.
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Der Ausgangsfall: Das App-Zentrum von Facebook
Im Zentrum des Rechtsstreits stand eine Klage des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) gegen Meta Platforms Ireland Ltd. (vormals Facebook Ireland). Die Klage richtete sich gegen die Gestaltung des sogenannten âApp-Zentrumsâ auf der Plattform: Nutzer konnten durch einen einfachen Klick auf âSofort spielenâ Drittanbieter-Apps nutzen â ohne ausreichend Ăźber Zweck und Empfänger der Datenverarbeitung informiert zu werden. PersĂśnliche Daten wurden ohne wirksame, informierte Einwilligung verarbeitet und verĂśffentlicht.
Das Besondere: Die vzbv Klage wegen eines DatenschutzverstoĂes wurde ohne ausdrĂźcklichen Auftrag einer betroffenen Person und ohne konkrete individuelle Betroffenheit erhoben. Ziel war es, präventiv gegen strukturelle DatenschutzverstĂśĂe vorzugehen. Es stellte sich damit die Grundsatzfrage: DĂźrfen Verbraucherschutzverbände auf Basis von Art. 80 Abs. 2 DSGVO selbstständig klagen?
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App-Zentrum I: Die erste Vorlage an den EuGH (C-319/20)
Der Bundesgerichtshof (BGH) reichte 2020 eine erste Vorlagefrage an den EuGH ein: Steht Art. 80 Abs. 2 DSGVO einer nationalen Regelung entgegen, die Verbänden auch ohne konkreten Betroffenenauftrag Klagerechte einräumt?
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EuGH-Urteil vom 28. April 2022: Ja zur Klagebefugnis
Der EuGH urteilte, dass die DSGVO solche nationalen Regelungen zulässt. Die Voraussetzungen:
- Der Verband muss nachweisen, dass identifizierbare Personen potenziell betroffen sind.
- Kein individueller Schaden oder persĂśnlicher Auftrag ist erforderlich.
- Es genĂźgt, wenn die angegriffene Datenverarbeitung gegen DSGVO-Rechte verstĂśĂt.
Damit wurde klargestellt: Verbraucherschutzverbände dĂźrfen im Sinne eines âverlängerten Armsâ der Betroffenen gegen DatenschutzverstĂśĂe vorgehen â auch ohne konkreten Einzelfall. Die Entscheidung stärkt die âDSGVO Verbandsklageâ als wichtiges Instrument der präventiven Datenschutzkontrolle.
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App-Zentrum II: Die zweite Vorlage (C-757/22) â Informationspflichten im Fokus
In einer zweiten Vorlagefrage aus dem Jahr 2022 wollte der BGH wissen, ob Verletzungen der Informationspflichten gemäà Art. 12 und 13 DSGVO bereits eine Klage rechtfertigen â selbst wenn noch keine Datenverarbeitung stattgefunden hat.
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EuGH-Urteil vom 11. Juli 2024: Informationspflicht = Betroffenenrecht
Der EuGH bejahte diese Frage und stellte klar:
- Verletzung von Informationspflichten kann eine eigenständige Verletzung von Betroffenenrechten darstellen.
- Transparente Information ist Voraussetzung fĂźr eine wirksame Einwilligung (Art. 4 Nr. 11 DSGVO).
- Einwilligungen ohne vollständige Information sind unwirksam â es liegt eine potenziell rechtswidrige Verarbeitung vor.
- Klagebefugnis des vzbv besteht auch bei reiner Feststellung eines mĂśglichen DSGVO-VerstoĂes, solange:
- eine identifizierbare Person betroffen sein kann und
- die Datenverarbeitung tatsächlich stattgefunden hat â rein hypothetische Klagen sind ausgeschlossen.
Diese Entscheidung präzisiert die Reichweite des Art. 80 Abs. 2 DSGVO erheblich. Verbände dßrfen nicht ins Blaue hinein klagen, mßssen aber auch keinen individuellen Schaden belegen.
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Rechtliche Bewertung: Was bedeutet das fĂźr das deutsche UKlaG?
Die Entscheidungen des EuGH setzen klare unionsrechtliche MaĂstäbe:
- Das Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) muss im Lichte des Art. 80 Abs. 2 DSGVO teleologisch und europarechtskonform ausgelegt werden.
- Die bisherige deutsche Praxis, auf ein objektives Verfahren ohne konkreten Personenbezug abzustellen, genĂźgt nicht mehr.
- Der Gesetzgeber ist gefordert: Die Umsetzung der Verbandsklagen-Richtlinie (2020/1828/EU) enthält bislang keine ausdrĂźckliche Anpassung an die EuGH-Vorgaben â ein rechtsstaatliches Defizit.
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Auswirkungen auf Unternehmen: Abmahnrisiken und Compliance-Pflichten
Die Urteile des EuGH haben erhebliche praktische Konsequenzen fĂźr Unternehmen â insbesondere im digitalen Sektor:
Risiken:
- Vermehrte Verbandsklagen bei DSGVO-VerstĂśĂen, z.âŻB. wegen:
- fehlerhafter oder unvollständiger Datenschutzerklärungen,
- unklarer Einwilligungsprozesse,
- intransparenter Datenverarbeitungen.
- Rechtsunsicherheit bei Standardprozessen, die keine nachweislich informierte Einwilligung gewährleisten.
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Empfehlungen zur Prävention:
- Datenschutzerklärungen aktualisieren:
- Klare Darstellung von Zweck, Rechtsgrundlage und Empfänger.
- Einwilligungsprozesse optimieren:
- Transparente Informationen vor dem Klick â kein âdark patternâ.
- Dokumentation verbessern:
- Nachweisfßhrung ßber Informationspflichten gemäà Art. 12, 13 DSGVO.
- Speicherung von Einwilligungsnachweisen (z.âŻB. Logfiles, Screenshots).
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Fazit: Die DSGVO Verbandsklage wird zum SchlĂźsselinstrument
Die EuGH-Urteile markieren einen Wendepunkt in der europäischen Datenschutzdurchsetzung. Verbraucherschutzverbände wie der vzbv erhalten eine gestärkte Rolle â als kollektive Interessenwahrer auch ohne Mandat einzelner Betroffener. Art. 80 Abs. 2 DSGVO wird damit zum Fundament fĂźr eine proaktive, systematische Kontrolle datenschutzwidriger Geschäftsmodelle.
FĂźr Verbraucher bedeutet das:
- Bessere Kontrolle Ăźber Datenverarbeitung.
- Verstärkte Abschreckung gegen rechtswidrige Datenpraxis.
- Effektiver Schutz, auch ohne eigenes rechtliches Vorgehen.
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FĂźr Unternehmen heiĂt das:
- Keine Toleranz mehr fßr unklare Datenschutzerklärungen.
- Wer nicht reagiert, riskiert kostenintensive Klagen und Reputationsverlust.
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Schlusswort: Kollektiver Datenschutz auf AugenhĂśhe mit der Wirtschaft
Die vzbv Klage gegen Meta ist ein Beispiel dafĂźr, wie die DSGVO nicht nur individuelle Rechte, sondern auch kollektive Kontrolle stärkt. Mit dem RĂźckenwind der EuGH-Rechtsprechung werden Verbraucherschutzverbände kĂźnftig noch stärker gegen systematische DatenschutzverstĂśĂe vorgehen. Unternehmen sollten das als Anlass nehmen, ihre Compliance-Strategien zu Ăźberdenken â bevor die nächste Verbandsklage kommt.
â FAQ zur DSGVO: EuGH stärkt Verbraucherschutzverbände
Verbraucher profitieren durch die gestärkte Rolle der Verbände, da diese systematische DatenschutzverstĂśĂe auch präventiv und kollektiv verfolgen kĂśnnen. Das erhĂśht den Schutz, selbst wenn Betroffene nicht selbst klagen.
Ja, laut EuGH kann bereits die Verletzung von Informationspflichten gemäà Art. 12 und 13 DSGVO klagefähig sein â etwa wenn keine transparente Information vor der Einwilligung erfolgt.
Typische Risiken sind:
- Klagen wegen intransparenter oder fehlerhafter Datenschutzerklärungen
- Unwirksame Einwilligungsprozesse
- VerstĂśĂe gegen Informationspflichten
- Reputationsschäden und Kosten durch Gerichtsverfahren
Empfohlene MaĂnahmen:
- Datenschutzerklärungen aktualisieren (Zweck, Rechtsgrundlage, Empfänger klar angeben)
- Einwilligungsprozesse rechtssicher gestalten (keine âdark patternsâ)
- Einwilligungsnachweise dokumentieren (z.âŻB. Screenshots, Logs)