Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit seinem Urteil vom 11. April 2024 (C-741/21) grundlegende Maßstäbe für materielle und immaterielle Schadensersatzansprüche im Datenschutzrecht gesetzt. Insbesondere konkretisierte er die Voraussetzungen des Art. 82 DSGVO. Die Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf Unternehmen, Betroffene und die gerichtliche Praxis – und stellt die Anforderungen an Schadensnachweise im Datenschutzrecht deutlich höher als bisher vermutet.
Hintergrund des EuGH-Urteils: Der Fall juris GmbH und Art. 82 DSGVO
Der Kläger, ein selbstständiger Rechtsanwalt, war Kunde des juristischen Datenbankanbieters juris GmbH. Nachdem er erfuhr, dass seine Daten für Werbezwecke verwendet wurden, widerrief er im November 2018 sämtliche Einwilligungen zur Direktwerbung – mit Ausnahme des Newsletters. Dennoch erhielt er im Januar und Mai 2019 erneut Werbeschreiben mit personalisierten Testcodes, über die auf Bestellmasken mit voreingetragenen Kundendaten zugegriffen werden konnte.
Er machte geltend, einen Kontrollverlust über seine personenbezogenen Daten erlitten zu haben, forderte materiellen Schadensersatz für Notarkosten sowie immateriellen Schadensersatz aufgrund einer Persönlichkeitsrechtsverletzung nach Art. 82 DSGVO. Die beklagte juris GmbH verwies auf organisatorische Maßnahmen und machte ein Fehlverhalten einzelner Mitarbeitender geltend. Das Landgericht Saarbrücken legte dem EuGH daraufhin mehrere Auslegungsfragen zu Art. 82 DSGVO und damit zum materiellen und immateriellen Schadensersatz im Datenschutzrecht vor.
Vorlagefragen des LG Saarbrücken an den EuGH zu Art. 82 DSGVO
Das Verfahren offenbarte erneut, wie interpretationsbedürftig Art. 82 DSGVO ist – selbst sechs Jahre nach Inkrafttreten der DSGVO. Die Vorlagefragen betrafen insbesondere die Voraussetzungen für den immateriellen Schadensersatz gemäß der DSGVO:
- Reicht ein DSGVO-Verstoß allein aus für einen immateriellen Schadensersatzanspruch?
- Muss der Schaden konkret, spürbar oder substantiell sein?
- Kann ein immaterieller Schaden entstehen, selbst wenn die Daten öffentlich zugänglich sind (z. B. Telefonbuch)?
- Ist eine Haftung nach der DSGVO nur bei menschlichem Versagen möglich – oder auch bei technischen Fehlern?
- Hat der Grad des Verschuldens Einfluss auf die Höhe des immateriellen Schadensersatzanspruchs?
- Wie ist bei mehrfachen DSGVO-Verstößen zu verfahren – einzeln oder pauschal?
Kernaussagen des EuGH zur DSGVO und zum immateriellen Schadensersatz
Kein immaterieller Schadensersatz ohne konkreten Nachweis
Der EuGH entschied: Ein DSGVO-Verstoß allein reicht nicht. Für einen Anspruch auf materiellen oder immateriellen Schadensersatz nach Art. 82 DSGVO müssen drei Elemente gemeinsam vorliegen:
- Ein Verstoß gegen die DSGVO
- Ein konkret erlittenes materielles oder immaterielles Schadenserlebnis
- Ein Kausalzusammenhang zwischen Verstoß und Schaden
Praxishinweis: Ein „Kontrollverlust“ über personenbezogene Daten kann gemäß Erwägungsgrund 85 DSGVO grundsätzlich als immaterieller Schaden anerkannt werden. Allerdings ist eine konkrete und nachvollziehbare Darlegung des Schadens erforderlich.
EuGH zu Art. 82 DSGVO: Keine Entlastung bei Mitarbeiterfehlern
Art. 82 Abs. 3 DSGVO sieht einen Haftungsausschluss vor, wenn der Verantwortliche den Nachweis erbringt, dass er für den entstandenen Schaden in keinerlei Hinsicht verantwortlich ist. Die juris GmbH berief sich auf diesen Absatz – wegen angeblich weisungswidrigen Verhaltens ihrer Mitarbeitenden.
Doch der EuGH widersprach deutlich: Der Verweis auf Mitarbeiter reicht nicht aus. Unternehmen müssen durch technische und organisatorische Maßnahmen (Art. 24, 25, 32 DSGVO) sicherstellen, dass Datenschutzregelungen umgesetzt werden.
„Unternehmen müssen sich das Fehlverhalten ihrer Mitarbeitenden zurechnen lassen – selbst bei internen Datenschutzverstößen.“
Strafmaßkriterien aus Art. 83 DSGVO nicht auf Art. 82 DSGVO übertragbar
Die Kriterien zur Bußgeldhöhe nach Art. 83 DSGVO – etwa Schwere, Dauer oder Wiederholung von Datenschutzverstößen – sind nicht anwendbar auf materielle oder immaterielle Schadensersatzforderungen. Der EuGH stellt klar: Art. 82 DSGVO hat eine rein ausgleichende Funktion und dient nicht der Abschreckung.
Maßgeblich ist ausschließlich der individuell eingetretene materielle oder immaterielle Schaden. Auch bei mehreren Verstößen ist der Gesamtschaden entscheidend – nicht die Anzahl der Einzelfälle.
Bewertung des EuGH-Urteils zu Art. 82 DSGVO und Folgen für die Datenschutz-Compliance
Die Entscheidung des EuGH zu Art. 82 DSGVO bringt sowohl Klarheit als auch neue Herausforderungen – insbesondere für datensensible Branchen wie LegalTech, Gesundheitswesen, E-Commerce und Finanzdienstleister.
Auswirkungen auf Unternehmen:
- Interne Datenschutzprozesse müssen klar dokumentiert werden
- Mitarbeitende sind regelmäßig zu schulen (z. B. E-Learnings zu DSGVO-Grundlagen, wie unsere DSGVO-Schulung für Mitarbeiter, welche Sie sofort buchen können!)
- Datenschutzmanagement muss auditierbar und nachweisbar gestaltet sein
- Externe Berater sollten regelmäßig Audits oder Datenschutz-Folgeabschätzungen durchführen
Anforderungen an Betroffene:
- Betroffene müssen nachvollziehbar darlegen, inwiefern ein konkreter materieller oder immaterieller Schaden gemäß der DSGVO entstanden ist
- Bloße Rechtsverletzung reicht nicht mehr für immateriellen Schadensersatz
- Psychologische, gesundheitliche oder wirtschaftliche Folgen müssen unter Umständen belegt werden, um immateriellen Schadensersatz zu erhalten
Fazit zu Art. 82 DSGVO: Was Unternehmen jetzt tun sollten
Das EuGH-Urteil zu Art. 82 DSGVO bringt Unternehmen auf der einen Seite Rechtssicherheit – auf der anderen Seite verlangt es höchste Sorgfalt bei der Einhaltung von Datenschutzpflichten.
Zusammengefasst:
- Kein Schaden = Kein Anspruch auf materiellen oder immateriellen Schadensersatz gemäß der DSGVO
- Keine Haftungsausschlüsse durch „Einzelfehler“ von Mitarbeitern
- Konkrete Nachweise erforderlich
- Schulung, Dokumentation und technischer Datenschutz gewinnen an Gewicht
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❓ FAQ: EuGH-Urteil zum immateriellen Schadensersatz nach Art. 82 DSGVO
Art. 82 DSGVO begründet das Recht auf Schadensersatz für Personen, deren Datenschutzrechte verletzt wurden – sowohl bei materiellen als auch immateriellen Schäden.
Nein, laut EuGH reicht der bloße Kontrollverlust für einen immateriellen Schaden nicht aus. Der Schaden muss konkret und nachvollziehbar dargelegt werden – z. B. durch Gutachten oder wirtschaftliche Nachteile.
Ja, aber nur wenn die immateriellen Schäden auch konkret belegt werden können. Allgemeine Unannehmlichkeiten oder bloße Rechtsverstöße reichen nicht aus.
Nur in Ausnahmefällen. Unternehmen müssen beweisen, dass sie keinerlei Pflichtverletzung begangen haben und organisatorisch alles Mögliche zur Verhinderung getan wurde.
Für den materiellen oder immateriellen Schadensersatz nach Art. 82 ist der Verschuldensgrad nicht maßgeblich – anders als bei Bußgeldern nach Art. 83 DSGVO. Entscheidend ist der tatsächliche Schaden.
Unternehmen sollten ihre Datenschutzmaßnahmen dokumentieren, Mitarbeitende regelmäßig schulen und technische sowie organisatorische Maßnahmen kontinuierlich prüfen und verbessern, um das Risiko von Schadensersatzansprüchen nach Art. 82 DSGVO zu minimieren
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