„Sehr geehrte(r) Herr/Frau“ ade: EuGH bekräftigt geschlechtsneutrale Anrede

Die juristische Anerkennung der Rechte transgeschlechtlicher und nicht-binärer Menschen ist nicht neu – doch mit seinem jüngsten Urteil setzt der Europäische Gerichtshof (EuGH) einen wichtigen Meilenstein.

Hintergrund der Klage war eine Beschwerde des französischen Vereins „Mousse“, der sich gegen sexuelle Diskriminierung einsetzt. Er beanstandete, dass Reisende bei der SNCF beim Online-Ticketkauf gezwungen waren, zwischen „Herr“ und „Frau“ zu wählen.

Datenschutz vor Tradition

Die Klage berief sich auf den Grundsatz der Datenminimierung gemäß Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Nach Ansicht von „Mousse“ ist die Abfrage einer geschlechtsspezifischen Anrede für den Vertragsabschluss nicht notwendig und damit nicht mit dem Datenschutz vereinbar. Während die französische Datenschutzaufsicht dem zunächst nicht folgte, stellte der EuGH klar: Ein Anredefeld darf nur dann Pflicht sein, wenn es objektiv für die Vertragserfüllung unverzichtbar ist. Gesellschaftliche Gewohnheiten oder konventionelle Kommunikationsformen reichen dafür nicht aus und rechtfertigen kein Eindringen in Persönlichkeitsrechte.

Wann bleibt die Abfrage erlaubt?

Nach Ansicht des EuGH ist eine verpflichtende Erhebung der Anrede nur in sehr engen Ausnahmefällen zulässig, zum Beispiel:

  • Bei medizinisch relevanten Angaben in der Krankenversicherung (etwa für geschlechtsspezifische Behandlungen)
  • In Verträgen mit klarem Personenbezug, wie Ehe- oder Erbverträgen

In der Praxis bedeutet das weitreichende Folgen für viele Unternehmen, zum Beispiel in:

  • Online-Shops
  • Kontaktformularen
  • Angebotsplattformen
  • Terminbuchungssystemen
  • Kundenbindungsprogrammen

Dort darf die Anrede nicht mehr standardmäßig abgefragt werden.

Welche Herausforderungen ergeben sich für Firmen?

Das EuGH-Urteil hat tiefreichende Konsequenzen für Unternehmen: Wird das Anredefeld ganz entfernt, kann das zu:

  • Fehlermeldungen oder abgehackten Nachrichten (z. B. „Sehr geehrter Müller“),
  • Problemen bei der Daten-Synchronisation (etwa mit Buchhaltungs-Tools) oder
  • Unterbrechungen in der automatisierten Ansprachestruktur führen

Das Ergebnis: höherer manueller Korrekturaufwand und uneinheitliche Kommunikation.

Empfehlungen für die Umsetzung

  • Machen Sie das Anredefeld freiwillig und optional.
  • Bieten Sie ein Freitextfeld an oder ergänzen Sie bei festen Auswahlfeldern die Optionen „Keine Angabe“ und „Divers“.
  • Nutzen Sie bedingte Platzhalter: Ist das Feld leer, generiert das System eine neutrale Anrede; ist es ausgefüllt, greift die gewohnte Formulierung („Sehr geehrter Herr/Sehr geehrte Frau“).
  • Setzen Sie generell auf geschlechtsneutrale Ansprachen wie „Guten Tag“, „Hallo“, „Sehr geehrte Person“ oder „Liebe Kundschaft“.

Auswirkungen auf Marketing und CRM

Neben den technischen Anpassungen wirkt sich das Urteil auch auf die Marketing-Strategie aus: Geschlechtsspezifische Kampagnen (z. B. unterschiedliche Inhalte für Männer und Frauen) werden schwieriger, da die Anrede nicht mehr als Segmentierungsmerkmal genutzt werden kann. Unternehmen müssen nun andere, datenschutzkonforme Kriterien finden, um Zielgruppen anzusprechen. Gleichzeitig kann die reduzierte Personalisierung die Kundenzufriedenheit und Markenwahrnehmung beeinträchtigen – hierfür gilt es, alternative Lösungen zu entwickeln.

Fazit: Jetzt aktiv werden

Das EuGH-Urteil ist rechtskräftig und erfordert von Unternehmen unmittelbares Handeln – juristisch, technisch und sprachlich. Wer frühzeitig reagiert, minimiert Risiken, präsentiert sich als modernes, inklusives Unternehmen und stärkt sein Image. Prüfen Sie deshalb Ihre Formulare, CRM-Systeme, Vorlagen und Kommunikationsprozesse auf unnötige Anredefelder und passen Sie diese entsprechend an.

Unser Praxistipp: Setzen Sie auf Flexibilität statt auf starre Vorgaben: mit optionalen Feldern, intelligenten Platzhaltern und genderneutraler Sprache bleiben Ihre Abläufe professionell, DSGVO-konform und zeitgemäß.

Bei Fragen zur konkreten Umsetzung stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung – wir unterstützen Sie rechtlich!

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