Wer zuerst kommt, mahlt zuerst – auch im Domainrecht.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 26. Oktober 2023 (Az. I ZR 107/22) ein wegweisendes Urteil gefällt:
Früh registrierte Domains genießen im Rahmen der Interessenabwägung regelmäßig Vorrang gegenüber später entstandenen Namens- oder Markenrechten – sofern die Domain rechtmäßig registriert und nicht rechtsmissbräuchlich genutzt wird.
Dieses Urteil stärkt die Rechte von Domaininhabern und gibt Unternehmen klare Handlungsempfehlungen für eine durchdachte Domainstrategie.
Hintergrund des Falls: energy COLLECT vs. e-rechtsanwälte.eu
Der Beklagte, Inhaber der Domains „energycollect.de“ und „energy-collect.de“ seit 2010, sah sich im Jahr 2020 mit einer Klage der energy COLLECT GmbH & Co. KG, einer Tochtergesellschaft des Thüga-Konzerns, konfrontiert.
Die Klägerin berief sich auf ihr Namensrecht und verlangte die Löschung sowie Herausgabe der Domains.
Der BGH stellte klar:
Unternehmen sollten vor der Wahl ihres Namens prüfen, ob die gewünschten Domains bereits vergeben sind. Liegt eine ältere, rechtmäßig registrierte Domain vor, genießt diese Vorrang – besonders dann, wenn der Domaininhaber ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse an der Nutzung hat.
BGH stärkt Domaininhaber durch Anwendung des Prioritätsprinzips
In seiner Entscheidung betonte der BGH, dass das Prioritätsprinzip, ein zentraler Grundsatz des Markenrechts, auch im Domainrecht gilt.
Wer eine Domain zuerst registriert, erwirbt ein schutzwürdiges Nutzungsrecht. Dieses Recht kann nur dann durchbrochen werden, wenn eine rechtsmissbräuchliche Nutzung nachgewiesen wird – was hier nicht zutraf.
Die Domains wurden seit ihrer Registrierung im Jahr 2010 für eine Weiterleitung auf die Website der on-collect solutions AG genutzt, deren Vorstand und Hauptaktionär der Beklagte ist.
Der BGH erkannte hierin ein legitimes wirtschaftliches Interesse und verneinte eine bloße Blockadehaltung.
Damit macht das Urteil deutlich:
Unternehmen können sich nicht allein auf ihr Namensrecht berufen, wenn eine frühere Domainregistrierung vorliegt und diese rechtmäßig genutzt wird.
BGH-Urteil stärkt Rechtssicherheit bei Domainregistrierungen
Das Urteil hat weitreichende praktische Folgen sowohl für Domaininhaber als auch für Unternehmen:
- Eine früh registrierte Domain genießt starken Schutz – selbst, wenn sie nicht aktiv genutzt wird.
- Unternehmen sollten ihre Domainstrategie von Beginn an in die Marken- und Namensplanung integrieren.
- Frühzeitiges Handeln schützt vor Konflikten und teuren Rechtsstreitigkeiten.
Zudem können Domaininhaber ihre Domains strategisch nutzen, zum Beispiel:
- um das Ranking von Zielseiten zu verbessern (SEO),
- oder Besucherströme gezielt und rechtmäßig umzuleiten.
Für die energy COLLECT GmbH & Co. KG, die erst zehn Jahre nach der Domainregistrierung gegründet wurde, bedeutet das Urteil eine klare Niederlage.
Unternehmen, die in neue Märkte eintreten, sollten deshalb unbedingt eine umfassende Domainrecherche durchführen, um Risiken und Prozesskosten zu vermeiden.
Schließlich stärkt das Urteil das Vertrauen in die Rechtssicherheit von Domainregistrierungen und gibt Unternehmen wertvolle Orientierung bei der strategischen Markenplanung.
Juristische Einordnung: Namensrechte vs. Domainrechte
Der BGH nutzte das Verfahren, um die Grundsätze des Domainrechts im Verhältnis zum Markenrecht klarzustellen.
Das Prioritätsprinzip bleibt dabei der maßgebliche Grundsatz:
Wer eine Domain rechtmäßig zuerst registriert, erwirbt grundsätzlich ein schutzwürdiges Nutzungsrecht.
Später entstandene Namens- oder Kennzeichenrechte können dieses Recht nur verdrängen, wenn eine rechtsmissbräuchliche Registrierung vorliegt.
Bei der Interessenabwägung nach § 12 BGB stellte der BGH klar, dass sämtliche Interessen des Domaininhabers zu berücksichtigen sind – auch wirtschaftliche Aspekte.
Die Weiterleitung der Domains zur on-collect solutions AG wurde als legitime Nutzung anerkannt.
Das Urteil grenzt sich damit von früheren Entscheidungen ab, etwa im Fall „sr.de“:
Dort hatte der BGH eine Domain ohne erkennbares Nutzungskonzept als rechtsmissbräuchlich bewertet.
Im aktuellen Fall lag jedoch ein klarer und wirtschaftlich nachvollziehbarer Zusammenhang vor – daher durfte der Domaininhaber seine Rechte behalten.
Praxis-Tipps: So vermeiden Sie kostspielige Domainstreitigkeiten
Das Urteil zeigt, wie wichtig eine strategische Domainplanung ist.
Unternehmen sollten folgende Punkte beachten, um Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden:
- Frühzeitige Domainrecherche
Prüfen Sie vor Firmengründung oder Markenanmeldung, ob relevante Domains verfügbar sind. - Präventive Registrierung
Sichern Sie wichtige Domains frühzeitig, um Konflikte und Prozesskosten zu vermeiden. - Prioritätsprinzip beachten
Früh registrierte Domains genießen in der Regel Vorrang. - Legitime Nutzung sicherstellen
Domains sollten nicht „geparkt“, sondern transparent und rechtmäßig genutzt werden. - Wirtschaftliche Interessen dokumentieren
Weiterleitungen, SEO-Maßnahmen oder andere Nutzungen können die Rechtsposition stärken. - Domain- und Markenstrategie verzahnen
Kombinieren Sie Domainrecherche und Markenplanung, um langfristige Konflikte zu vermeiden.
In Zeiten zunehmender Digitalisierung und steigendem Wettbewerb um attraktive Domainnamen ist eine proaktive Domainstrategie der Schlüssel zu Rechtssicherheit und einer starken Online-Präsenz.
❓FAQ zum BGH-Urteil und Prioritätsprinzip im Domainrecht
Ältere Domains genießen in der Regel Vorrang, wenn ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse vorliegt oder die Domain sinnvoll genutzt wird, z. B. durch Weiterleitungen oder eigene Inhalte.
Wird eine Domain ohne erkennbares Nutzungskonzept registriert, kann dies im Einzelfall als rechtsmissbräuchlich gewertet werden.
Der BGH entschied im Fall „sr.de“, dass Domains ohne sinnvolle Nutzung eher entzogen werden können.
Nicht automatisch.
Eine später gegründete Firma kann eine bereits rechtmäßig registrierte Domain nicht einfach beanspruchen.
Nur bei missbräuchlicher Nutzung kann ein Anspruch entstehen.
Der BGH macht klar:
Unternehmen sollten vor der Wahl eines Namens prüfen, ob die passenden Domains frei sind.
Wer das unterlässt, riskiert teure Konflikte und den Verlust geplanter Markenstrategien.
Eine früh registrierte Domain kann für SEO-Zwecke genutzt werden, z. B. zur Weiterleitung oder für eigene Inhalte.
Das Urteil stärkt die Position von Domaininhabern, die ihre Domains aktiv in der Online-Strategie einsetzen.
- Frühzeitige Domainrecherche durchführen
- Markenstrategie und Domainstrategie frühzeitig verknüpfen
- Rechtsmissbrauch vermeiden und legitime Nutzung dokumentieren
- Domains aktiv einsetzen, um ihre Rechtsposition zu stärken